Christus, Du bist meine Leidenschaft!
- Nicolas Bullmann
- 15. Sept. 2024
- 13 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Okt. 2024

Der selige Karl Leisner ist uns durch sein Leiden, aber vor allem durch sein Leben ein leuchtendes Vorbild in der brennenden Liebe zu unserem Herrn und zu unseren Nächsten. Er erweist sich als starker Fürsprecher in Zeiten von Drangsal, in der Unterscheidung der Berufung und dient uns darüber hinaus als Lehrer des Gebets.
„Ein reines Herz, o Herr, erschaff in mir. Den rechten Geist erneuere in meinem Innern. Den Geist Jesu Christi. Zu ihm entbrannte meiner Jugend Sehnsucht in Leidenschaft, da sie am Scheitweg stand. Er ist meine tiefste Liebe geblieben alle Jahre voll heißen Kampfes und wildem Streit. Jesus Christus, Amen." Dieses Gebet schrieb der selige Karl Leisner am Samstag, den 7. Mai 1939 in sein Tagebuch. Jener Karl Leisner, dessen tiefe und brennende Leidenschaft zu Christus ihn in die Hölle von Dachau führen sollte.
Doch wer ist dieser Karl Leisner überhaupt? Karl Leisner wurde am 28. Februar 1915 am Niederrhein geboren, am 17. Dezember 1944 im Konzentrationslager Dachau zum Priester geweiht. Er starb am 12. August 1945 im Sanatorium in Planegg bei München an Tuberkulose. Gemeinsam mit Bernhard Lichtenberg wurde er im Jahre 1996 durch den heiligen Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Aber warum spricht die Kirche einen Priester selig der gerade einmal 30 Jahre alt wurde und fernab von seiner eigenen Heimat starb? Seine Primizmesse, seine erste heilige Messe, feierte der selige Karl Leisner am 26. Dezember 1944 am Fest des heiligen Stephanus, dem ersten Märtyrer der Christenheit. Der hl. Stephanus wird beschrieben als ein Mensch, der für die Wahrheit seines Lebens den Tod auf sich genommen hatte. Er war Christus in aller Konsequenz nachgefolgt bis hin zu seiner Bitte an Gott, seinen Feinden ihre Sünden nicht anzurechnen. Er hatte sich mit seiner Wahrhaftigkeit in Widerspruch zu den umgebenden Menschenmengen gestellt. Doch wichtiger als sein Leben war es ihm seiner Überzeugung, treu zu bleiben. So beginnt doch alle Befreiung damit, dass ein paar Menschen furchtlos werden und anders handeln, als die Bedroher es von ihnen erwarten. Solch ein Mensch war der heilige Stephanus und solch einem Menschen steht der Himmel offen.
Diese Laudatio auf den heiligen Stephanus ließe sich blind ebenso auf den seligen Karl Leisner halten. Auch Karl Leisner hat schließlich den Tod auf sich genommen - für seine Überzeugungen. Auch er hat im Angesicht der Gefahr für seine Verfolger gebetet und auch er handelte anders, als es von ihm erwartet wurde. Dies zog sich wie ein roter Faden durch sein junges Leben und äußerte sich insbesondere in seiner Zeit im Konzentrationslager.
Dass er seine erste, letzte und einzige heilige Messe am Stephanustag feiern konnte, steht ganz im Licht der Fügung und der Gnade Gottes. Zählte doch der heilige Stephanus zum größten Vorbild Karl Leisners. Unser Seliger, dessen Seminars - und Lagerzeit hier im Vordergrund stehen sollen, trat nach dem Abitur im Frühjahr 1934 in das Priesterseminar der Diözese Münster dem Collegium Borromeum ein. Am 1. Mai 1934 schreibt der junge Karl in sein Tagebuch. „Drumauf, mit heilgem Mut, stolzer Kraft, tiefer Demut, ganzer glänzender Reinheit, festem Glauben, starker Hoffnung und glühender Liebe ans hohe heilige Werk. Fleißig sparsam tüchtig strebsam ran an die Arbeit. Gott hilft gern. Ihm gilt meine Zukunft, mein Leben, mein Beruf. Herr und Gott, du mein König, du lenkst in wunderbarer Weisheit und Güte die Geschicke aller Menschen. So hast du mich armen schwachen sündigen Menschen durch eine Zeit der Versuchung und der Schwachheit hindurchgeführt und mich jetzt zum heiligsten, höchsten Amt zum Priestertum berufen. O gib doch, du gütiger Vater, dass ich die Vorbereitungszeit, auf diesen hehren Beruf dich zu vertreten, aus deinen unerschöpflichen Lebensquellen in Klarheit und Demut gestalte. Christus du bist meine Leidenschaft, heil!"
Ein Ausnahmemensch in einer Ausnahmezeit. Drückt sich hier doch das heiligmäßige Ideal des Priesterstandes in aller Schönheit und farbenfroher Pracht aus. Hier drückt der junge neunzehnjährige Westfale seine tiefe Liebe zu Christus aus, die ihn das gesamte Leben tragen wird. „Christus du bist meine Leidenschaft“ lässt sich ohne Zweifel als sein lebendiges und glühendes Lebensmotto beschreiben. Eine Leidenschaft, die ihn nicht zu einem passiven Advokaten des Reiches Gottes sondern vielmehr zu einem leidenschaftlichen Jünger brennenden Herzens werden ließ. Diese frühe Leidenschaft zu Christus und die bemerkenswerte Treue, mit der Leisner sie lebte, waren es, die die Gestapo bereits früh auf ihn aufmerksam werden ließen.
Während der ersten Jahre im Priesterseminar fiel vor allem der Jugendarbeit seine besondere Aufmerksamkeit zu. Junge Männer in Zeiten des Nationalsozialismus zu Christus zu führen, war ihm ein besonderes Ansinnen. Gerade im tief katholischen Münsterland hatten es die braunen heidnischen Ideologen große Mühe zahlreichen Nachwuchs für die unterschiedlichen Parteiorgane zu rekrutieren. Die tiefe und historisch – kulturelle gewachsene Verbundenheit zur heiligen Mutter Kirche veranlasste die vielen jungen Männer katechetische Gruppen, wie die des Karl Leisners zu besuchen. Diese Jugendarbeit erfüllte Leisner nicht nur mit großer Freude sondern war auch Ausdruck seines ausgesprochen starken Mutes und Kampfgeists. So war Karl Leisner den Nationalsozialisten ein ziemlicher Dorn im Auge. Er machte auch aus seiner allgemeinen Abneigung gegenüber der heidnischen Ideologie keinen Hehl. So verweigerte schon früh stets überzeugt den Hitlergruß und lehrte seinen Jugendlichen bekennend, dass nur Christus unser Führer hieße.
1936 kam es allerdings zu einem ersten Ende dieses Apostolats, da Leisner nach Freiburg zog, um dort seine Studien weiterzuführen. Doch neben der Bewältigung des Studiums fällt Leisner eine weitere entscheidende Aufgabe zu. Er erfährt eine starke Berufungskrise, die es zu bewältigen gilt. Die Treue mit der er sich für seine Berufung und dem damit einhergehenden zölibatären Leben entschieden hatte, gerät ziemlich ins Wanken. Der junge Karl Leisner verliebt sich.
Und so beginnt ein aufrichtiges Ringen um seine Berufung. In der Kapelle in Schönstatt fleht er die Mutter Gottes an. „Wenn ich Priester werden soll, dann lass es wissen und erwirke mir die Kraft, mich selbst zu überwinden. Wenn ich ein schlechter Priester werden sollte, dann sorge dafür, dass ich vorher sterbe." Die Echtheit einer Berufung können wir nur in der Unterscheidung erkennen. Ob wir zum Eheleben oder zum gottgeweihten Leben berufen sind können wir nur in der aufrichtigen Auseinandersetzung herausfinden. Ungeachtet ihrer Art müssen wir unsere Berufung ehrlich unterscheiden, um sie zunächst zu finden, bevor wir sie glückselig leben können. Das Ziel einer jeden Berufung ist unsere eigene Heiligkeit. Der Preis ist zu hoch für einen leichtfertigen Umgang.
Die Leidenschaft des Karl Leisner und seine Liebe zum Herrn drückt sich in dieser Krise insbesondere in seinem Beten aus. So mag seine Krise eine Krise der Sinne, aber niemals eine des Gebetes sein. Voller Hingabe und Ehrlichkeit öffnet er dem Herrn und immer wieder auch der Gottesmutter sein Herz. Nebst so vielem können wir vom seligen Karl Leisner vor allem auch das Beten lernen: Ehrlich zu uns und zu Gott zu sein; ganz klar und durchsichtig. Auch mit der eigenen Schwäche und der eigenen Unzulänglichkeit in der Gewissenserforschung konfrontiert, betet er immer wieder. „Herr, wenn du willst will ich dein Priester werden.“ Sein Herz ist erfüllt von der Liebe zum Herrn. Und so überwindet er langsam, sehr mühselig und langsam seine Berufungskrise 1937 mit einem selbstgeschriebenen Abendgebet, in dem es heißt: „Es war Mühsal und auch Freude zu schaffen und zu sorgen. Vater, ich danke dir, dass ich deine Herrlichkeit aufleuchten sah im Antlitz deiner Schöpfung und in der Begegnung mit guten Menschen im Abglanz deiner Liebe. Vater, gib mir Kraft, dir zu danken für die Fügungen, die ich nicht verstand. Du, mein Vater, bleibe mir gut und verzeihe, wo ich gefehlt habe. Gott, Vater, dein Erbarmen ist groß, deine Güte unermesslich. Lass uns im Morgenglanze der Sonne in deiner Vaterhuld erwachen zu neuem Werk und neuer Liebe. Amen." Karl Leisners Herz ist getragen von der Liebe Gottes, die sich in der Schönheit des Gebets ausdrückt, getragen von Demut von Geduld, von Sanftmut und von Güte. So wird doch deutlich, dass sein Herz von zu großer Liebe erfüllt ist, als dass er seine Liebe nur einer Person schenken könnte. Die größere Liebe für Karl Leisner war die Liebe zu allen Menschen. Sein Herz ist zu groß und zu erfüllt, als dass er nicht Priester werden konnte. Gott hatte Karl beim Namen genannt und zum Priestertum berufen. Und die Gnade Gottes und die noch größere Liebe haben schließlich im Ringen gesiegt. Das ist schließlich unserer aller Aufgabe in der Unterscheidung unserer eigenen Berufung. Beantworten wir diese Frage: Was ist die größere Liebe?
Der Sieg der geschwisterlichen Liebe zu allen Menschen führt schließlich dazu, dass Karl Leisner am 25. März 1939 durch Bischof Graf von Galen (nun: Sel. Clemens August Card. Graf von Galen) in Münster zum Diakon geweiht wurde. Kurz vor Karls lang ersehntem Ziel der Priesterweihe musste er allerdings einen herben Rückschlag erleiden. Seine beiden Lungenflügel waren von Tuberkulose befallen. Für den jungen sportlichen Karl Leisner, der so umtriebig immer mit dem Rad durch ganz Westfalen fuhr, war das freilich ein Schock. Die Krankheit durchkreuzte alle Pläne einer möglichen Priesterweihe. Er war zu schwach und wurde nach St. Blasien in ein Sanatorium geschickt, um sich dort auszukurieren. Im Sanatorium erfreute sich Karl Leisner weitestgehend größter Beliebtheit. Sein aufrichtiges und authentisches Leben aus dem Glauben heraus stieß allerdings nicht bei jedem auf Wohlwollen. Nach dem Münchner Attentat auf Adolf Hitler am 8. November 1939 wurde Leisner schließlich von Mitpatienten fälschlicherweise denunziert und nach einem Verhör ins Gefängnis nach Freiburg gebracht. Im März 1940 schließlich wurde unser Seliger in die Schutzhaft und damit in das KZ nach Sachsenhausen verlegt. Insbesondere für die Gestapo in der Heimat war das eine mehr als willkommene Gelegenheit den regimefeindlichen Störenfried endlich loszuwerden. Im Konzentrationslager angekommen schreibt er unaufgeregt und fast frohen Mutes seiner Familie. Trotz des Leids im Lager, das ihn umgab, verlor Leisner nie seine heitere und fröhliche Art. Unbeschwert durch die bitteren Erfahrungen, ja unbelastet durch die persönlichen Schwierigkeiten erschien er in dem Dunkel und der drückenden Enge des Lagers wie ein strahlender Sonnenschein. Friedrich Nietzsche versicherte uns ja mehr oder minder glaubhaft, dass er ja doch glauben würde, wenn nur die Christen etwas erlöster ausschauen und leben würden. Diese Erlösung können wir wahrhaftig in Leisner entdecken. Auf die Hölle des Lagers antwortet er mit dem Himmel. So versuchte Leisner selbst in dem Elend des Lagers, allem noch etwas Positives abgewinnen zu können. Kameraden von Leisner beschreiben in ihren Erinnerungen, dass sie ihn immer fröhlich und aufgeräumt sahen. Prägnant war dabei stets sein freudiges, leuchtend strahlendes Wesen. Man sah ihn nie ohne ein Lachen im Gesicht. Welche Gründe haben wir also ständig griesgrämig und missmutig durch die Welt zu gehen? Ist unser Kreuz, welches wir annehmen etwa ein härteres als das des Seligen? Im Kontext des Lagers und all der Schrecken, die der junge Diakon neben seiner Krankheit noch zu erdulden hatte, können wir hier wahrlich von der Gnade Gottes sprechen.
Ende 1940 wurden schließlich alle inhaftierten Kleriker im Konzentrationslager Dachau zusammengelegt. Während er in Sachsenhausen noch täglich die hl. Messe besuchen konnte, wurde in Dachau erst Ende Januar 1941 eine Kapelle errichtet, was den Priestern die Zelebration der täglichen heiligen Messe ermöglichte. In der Eucharistie findet Karl Leisner seine Stärke und seinen Trost. Diese Stärke und dieser Trost sind es doch, die Karl Leisner zu seinem Zeugnis wahrer und aufrechter Liebe befähigen. Von Karl Leisner können wir also vor allem auch die Heiligung des Alltags lernen – sei er noch so schmerzhaft. Wir nehmen ihn an und unser Kreuz auf uns. Karl Leisner lehrt uns darüber hinaus den selbstlosen Einsatz für andere. Die Häftlinge im KZ Dachau ließen sich in verschiedene Gruppen einteilen. So gab es politische Häftlinge (hierzu zählten auch die meisten Priester), Kriminelle, Homosexuelle, Asoziale, sog. ernste Bibelforscher ( bspw. Zeugen Jehovas) und die Häftlinge der Sinti und Roma. Durch seine aus der Liebe strömenden Art, gewann Karl Leisner viele seiner Leidgenossen auch aus diesen Gruppen zu Freunden. Er begegnete allen mit tiefem Verständnis und echtem geschwisterlichen Mitleiden. Inmitten des Leids denkt er fast nur an seine Mithäftlinge. So schenkt er besonders bedürftigen Häftlingen seine Brotration, obwohl er so selbst nun Hunger litt. Neben der leidvollen Prügel und den Erniedrigungen, die es im KZ zu erleiden galt, kam noch seine ohnehin schon angeschlagene körperliche Verfassung und seine Krankheit hinzu. Doch Leisner war gewiss, dass die Gottesmutter ihn beschützen würde. Daher machte er es sich selbst zur Aufgabe seine Kameraden zu verzücken, indem er den anderen durch kleine Akte der Nächstenliebe, sein offenes Ohr, vor allem aber durch sein Lächeln diente. Wie viel kann unsere Welt und ja auch unsere Kirche von diesem Seligen lernen. In unserer Welt der Einsamkeit und der Verirrung sollten wir immer mehr auf den seligen Karl Leisner schauen. Selbst in steter Todesangst und andauernder Gefangenschaft ist seine persönliche Beziehung zu unserem Herrn und König seine tragende Säule. Daraus ergibt sich auch die vorbehaltlose Liebe zum Nächsten - ungeachtet seiner Vita. Also christuszentriert, an der Seite Mariens, der Welt zugewandt ist die Lebensform, welcher wir uns im Geiste des seligen Karl Leisner annehmen dürfen. Darin erkennen wir doch ein zeitloses Ideal der Liebe. Die hl. Mutter Teresa sagte schon: „Mission beginnt immer mit einem Lächeln.“ Und an wem wird dies so deutlich, wenn nicht am seligen Karl Leisner.
Aus seiner Liebe zu Christus heraus hat Leisner schließlich auch sein Ja zu seiner Berufung gesprochen, die er im Lager von Dachau als Diakon aber nicht komplett leben konnte. War es doch sein größter Wunsch, dem Herrn und den Menschen als Priester zu dienen. Während sich sein Gesundheitszustand stetig verschlechterte, wuchs in ihm immer mehr die Sehnsucht eines Tages die Gnade der Priesterweihe empfangen zu können. Insbesondere im Jahr 1943 ist sein Tagebuch gefüllt mit flehentlichen Bitten, in denen er sich nach dem Priestertum sehnt. Aber neben dem Schicksalsjahr 1939, indem er von seiner Krankheit heimgesucht und inhaftiert wurde, sollte das Jahr 1944 ein weitaus größeres Gewicht in dem Leben von Karl Leisner haben. Die große Wende vollzog sich am 6. September 1944. An diesem Tag wurde der französische Bischof Gabriel Piguet von der Diözese Clermont - Ferrand nach Dachau gebracht. Der Bischof war schon sehr bald der Mittelpunkt der Priestergemeinschaft in Dachau. Sie bemühten sich ihm nur alle erdenklichen Erleichterungen und Ehrungen zuteil werden zu lassen.
Durch die plötzliche Anwesenheit des Bischofs kam innerhalb der Gemeinschaft von Dachau der Gedanke auf, man könne Karl Leisner im KZ zum Priester weihen. Als man dem Diakon Leisner nun also den Vorschlag unterbreitete, war er ganz erschrocken. Spricht es doch für seine Tugendhaftigkeit, dass er selbst in diesem Moment, in dem nun also seine größte Sehnsucht erfüllt werden kann, wieder nur an andere dachte. Er könne nicht im KZ geweiht werden, hätte doch schließlich seine Heimatgemeinde ein Anrecht auf seine Primizmesse. Während sich Karl Leisner also mit seiner Heimat im Gebet verbunden wusste und sich so darauf einließ im KZ zum Priester geweiht zu werden, hatte Bischof Piguet die Erlaubnis von Leisners Heimatbischofs, Graf von Galen und des Münchener Ortsbischofs Kardinal Faulhaber erbeten. Unter hohem Risiko für Leib und Leben liefen also die Vorbereitungen für dieses einmalige Ereignis - für eine Priesterweihe in einem Konzentrationslager. Unter Mitarbeit von vielen Zivilisten aus der unmittelbaren Nähe des KZs, der Stadt Dachau und zahlreichen Mithäftlingen wurden die strengen Lagerregeln umgangen, um die Weihe zu ermöglichen. Kardinal Faulhaber stellte neben der Weiheerlaubnis die notwendigen heiligen Öle, die liturgischen Bücher und eine Stola zur Verfügung. Als Weihetermin wurde schließlich der 3. Adventssonntag, der 17. Dezember festgesetzt, zu dessen Vorbereitung die Häftlinge begannen, die bischöflichen Insignien anzufertigen. Ein russischer Häftling fertigte in der Werkstatt einen Bischofsring aus Messing an und gravierte das Bild der Mutter Gottes von Dachau ein. P. Makarius Spitzig OSB - seines Zeichens Bildhauer - fertigte einen Bischofsstab aus Eichenholz mit der Inschrift: Victor in Vinculis (Sieger in Ketten) an, welcher den seligen Karl Leisner sein ganzes Leben begleitetet. Ein Priester aus der Diözese Trier schneidert aus violettem Stoff ein Bischofsgewand und die Mitra.
Die Perlen und die Seide für die bischöfliche Mitra wurden von einem englischen Oblaten organisiert. Der Stoff wurde in den Magazinen der SS gegen Lebensmittel und Tabak eingetauscht. In all den höllischen Qualen, die die Häftlinge von Dachau zu erleiden hatten, haben sie aus Ehrfurcht vor unserem Herrn und vor dem bevorstehenden Sakrament die für die Umstände würdigste Feier bereiten wollen. Gar Pontifikalsandalen wurden für Bischof Piguet angefertigt. Der Volksmund ist ja bekanntlich der Meinung, dass die Liebe im Detail stecke und so ist es auch hier zutreffend. Unter Lebensgefahr opfern sie sich auf, um die Spendung von diesem Sakrament zu gewährleisten. Schaut man derweil in unsere Zeit, wäre das nur schwer vorstellbar. Während Bonner Theologieprofessoren der Meinung sind es gäbe kein biblisch begründetes Priestertum, möchte es der synodale Weg gleich ganz abschaffen. Der beste Freund Karl Leisners, der Jesuitenpater Otto Pies beschreibt hingegen als wunderbares Gegenstück zu diesen derzeitigen Entwicklungen die Weihe unseres Seligen. „Er (Karl Leisner) kniet vor dem Bischof nieder. Der Nachfolger der Apostel legt ihm schweigend die Hände auf. Der große Augenblick ist da. Es ist still. Der heilige Geist senkt sich hinab. Er wandelt diesen gefangenen, kranken Menschen zu einem Werkzeug der Allmacht Gottes, zum sakramentalen Repräsentanten des Hohenpriesters und einzigen Mittlers zwischen Gott und den Menschen Jesus Christus. Aller Augen hängen am gesenkten Haupt des jungen Priesters im Sträflingskleid. Tu es sacerdos in aeternum. Jetz bist du Priester in Ewigkeit." Karl Leisner werden die priesterlichen Gewänder angelegt und Reinhold Friedrichs, Domkapitular aus Münster schreibt später über die Eindrücke der Weihe: „Hier erfassten wir ganz, dass die Priesterweihe eine Bluttaufe ist für die Ewigkeit. Nun wurden die Hände, die gebunden waren, mit heiligem Öl gesalbt, damit sie die segnen, die sie in Ketten gelegt haben, dass sie für diejenigen sich zum Gebet erheben, die sie verfluchten... Was wir hier mit ehrfürchtigem Schauer erlebten, ist nicht in Worte zu fassen." So wird doch nun die Größe dieses Sakraments deutlich, die Größe dieser Zeit, ja die Größe dieser Gemeinschaft, in der sich alle bemüht haben, die Weihe zu gewährleisten. Nach der Weihe kehrt Karl Leisner nun völlig erschöpft ins Krankenrevier zurück, wo er sich von allen Anstrengungen erholen musste. Nach einer einwöchigen Rekreation konnte er schließlich am Festtag des heiligen Stephanus, der wie bereits oben beschrieben eine besondere Bedeutung für Karl Leisner hatte seine Primizmesse feiern. Schon in Studientagen galt der hl. Stephanus als großes Vorbild Karl Leisners, der als Student stets betete: „Herr gib mir Glauben des heiligen Stephanus, einen Glauben glühend von Liebe zu Christus." Während seines langen Leidenswegs hörte Leisner nie auf seinen Blick zum Himmel zu erheben - so wie der heilige Stephanus bei seiner Steinigung.
Dass Karl Leisner bei seiner Primizmesse in der kleinen Lagerkapelle von Dachau bereits ahnt, dass seine erste heilige Messe auch die letzte ist, die er zelebrieren wird, ist nicht anzunehmen. Wie der Erzmärtyrer, wollte auch der Neupriester Karl Leisner sein junges starkes Leben für Christus zum Opfer bringen. „Der Menschensohn zur Rechten des Vaters wollte diesem hochherzigen Jünger die treue heiße Leidenschaft der Liebe mit seiner ewigen Liebe vergelten. Jetzt wird wahr, was Karl Leisner ersehnt hatte. Es ist das Schweigen der Nacht; in der Opferliebe des Gekreuzigten soll er mich haben, der Allmächtige vor dessen Schreiten der Erdball erbebt" schreibt Otto Pies. Wenn wir die Krankheit Karl Leisners im Kontext betrachten, erkennen wir, dass hier die Gnade Gottes am Werk ist. Kurz vor der Priesterweihe kann er sich aufraffen, um einmal die Liturgie zu proben. Bei dieser Gelegenheit entsteht auch das einzige Bild, was wir von Karl Leisner im priesterlichen Ornat kennen. Nach der Weihe und der Primiz wird Karl Leisner immer schwächer, sodass er von seinem besten Freund P. Pies SJ nach der Befreiung des Lagers Dachau im Mai 1945 herausgetragen werden muss. Er verlässt Dachau nicht auf seinen eigenen Füßen, da sie ihn nicht mehr tragen können. Er ist zu schwach und auch in Anbetracht dieser anhaltenden Schwäche im Sanatorium in Planegg bleibt seine Sehnsucht nach der Eucharistie und der hl. Messe bestehen. Doch er stirbt als Priester Jesu Christi am 12.08.1945, der eine heilige Messe, seine erste heilige Messe gefeiert hat. Celebra Missam. Ut Primam. Ut Unicam. Ut Ultimam. Dieses Gebet, welches auf unseren Seligen zurückzuführen ist, ist für viele Priester fester Bestandteil ihrer Gebete vor der heiligen Messe.
Die Kraft und das Zeugnis des seligen Karl Leisner lebt also immerfort, auch in uns, wenn wir seine Gebete sprechen oder wenn wir, wie er der Welt ein Lächeln schenken. In Karl Leisner, in seinem Opfer, in seinem christuszentrierten ihm geweihten Leben entdecken wir die Schönheit des Christentums, auch wenn es umgeben ist von Unheil und Schrecken. Wir haben immer die Chance uns für das Gute, für das Schöne, für das Wahre zu entscheiden. Bitten wir den Herrn, dass er uns erfüllen möge mit der Leidenschaft, der Treue, dem großen Herzen und dem Mut des seligen Karl Leisners.
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