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Zu Recht unterschätzt? Papst Paul VI. und die Kraft der Freude

Papst Paul VI.
Papst Paul VI.

Giovanni Battista Montini wurde am 26.09.1897 bei Brescia in Norditalien als zweiter von drei Söhnen geboren. Nach der Priesterweihe im Jahr 1920 zog es ihn nach Mailand, wo er in Kanonistik, bevor schließlich ein erneuter Umzug in die ewige Stadt bevorstand. 1921 trat der junge Priester Giovanni Montini in die Diplomatenakademie des Heiligen Stuhls ein, was ihn 1923 Polen brachte. Seine schwache Gesundheit bescherte ihm jedoch eine baldige Rückkehr nach Rom. Ab 1925 arbeitet Montini also als leitender Beamter im Staatssekretariat und wird 1954 von Papst Pius XII zum neuen Bischof von Mailand ernannt. In seiner Zeit als Hirte der Mailänder Katholiken profilierte er sich ein Image des Erzbischofes der Arbeiter. Was freilich auf den ersten Blick fremd klingen mag im Hinblick auf seine herausragenden Tätigkeiten in Wissenschaft und Verwaltung. Nach dem Tod von Papst Johannes XXIII wurde er im September des Jahres 1963 im fünften Wahlgang zum Papst gewählt. Neben der Wiedereröffnung des zweiten Vatikanischen Konzils und dessen Abschluss stechen freilich seine ökumenischen Bemühungen mit den Kirchen des Ostens und seine Israelreise 1964 als zentrale Grundpfeiler seines Pontifikats hervor. War er doch der erste Nachfolger des Apostel Petrus, der das heilige Land besucht hat. Sein Name Paulus, Pilger, ist gewissermaßen auch das Programm des Pontifikats.  Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, uns auf seine Rolle beim zweiten vatikanischen Konzil oder auf sein internationales Interesse zu beschränken. Vielmehr möchten wir nicht den Mann kennenlernen, der die Beschlüsse des zweiten vatikanischen Konzils vorangetrieben hat, sondern jenen Papst besser erfassen zu versuchen, der die Freude am Herrn und eine echte Moralität in den Vordergrund stellt.

In diesem heiligen Jahr 2025 gehen wir zurück in das heilige Jahr 1975. Hier hat Paul VI. den wunderbaren BriefGaudete in Domino veröffentlicht. Also „freut euch am Herrn“ ist der Titel dieses Briefs, und das dürfen wir sehr wohl als einen Appell verstehen. Sein Leitbild, sein Ziel war ganz und gar geprägt im Zuge einer innerkirchlichen und weltweiten Versöhnung, die wir derzeit so dringend benötigen.

Freilich steht der Dienst an der Versöhnung vor Schwierigkeiten und  Widersprüchlichkeiten, das weiß auch Paul VI. Aber dennoch schreibt er: „Wir wissen Uns zu ihm gedrängt und dabei getragen von der Freude im Heiligen Geist.“ Und weiter: „auch für Uns, für die ganze Kirche gilt ohne Einschränkung das vertrauensvolle Wort des Apostels Paulus an seine Gemeinde in Korinth: »Ihr seid zum Mitsterben und Mitleben in unseren Herzen. Ich habe großes Vertrauen zu euch (…)Trotz all unserer Not bin ich mit Trost und übergroßer Freude erfüllt“. Ja, so drängt die Liebe zum Wunsch nach Versöhnung und die Liebe ist es auch, die die Sehnsucht entfacht, dass alle an der Überfülle dieser Freude teilhaben mögen, die ein Geschenk des Heiligen Geistes ist.

„Darum erschien es Uns als eine frohe innere Verpflichtung, in diesem Jahr der Gnade anläßlich des Pfingstfestes ein Apostolisches Mahnschreiben an euch zu richten, das der christlichen Freude, der Freude im Heiligen Geist gilt. Wir möchten einen Hymnus auf die Freude in Gott anstimmen, der in der ganzen Welt widerhalle: die Liebe, uns im Heiligen Geist geschenkt, soll zusammen mit ihrer Frucht, der Freude, die Herzen der Menschen erfüllen. Es ist Unser Wunsch, daß ihr mit einstimmt in unseren Hymnus, zur geistlichen Tröstung der Kirche und all jener Menschen, die ihr Herz der Feier dieses Ereignisses öffnen wollen.“

So gilt dieser Wunsch auch uns, dass wir dieses heilige Jahr in voller Freude im heiligen Geist und vor allem von Liebe getragen, begehen dürfen. Wir sind also auch eingeladen diesen Hymnus auf die Freude in Gott anzustimmen. Die Tatsache, dass auch wir nun schon mitten in einem heiligen Jahr stehen, ist sicherlich nicht der einzige Bezugspunkt hinsichtlich der Aktualität des Schreibens. Wie viele Menschen kennen wir, von denen Sätze fallen, wie zum Beispiel „ich wurde nie gefragt, ob ich geboren werden will.“ oder die in ihren Herzen vor allem Traurigkeit und Niedergeschlagenheit haben. Ungeachtet dessen, ob es eine tatsächliche Depression ist oder aber die tiefsitzende und verzweifelte Unzufriedenheit, Sinnlosigkeit des eigenen Lebens. Wie verloren und einsam dieser Gedanke doch sein muss, wissen wir doch darum, dass wir von Anfang an in persönlicher Beziehung zu unserem Schöpfer stehen dürfen, der auch diese emotionale Blockade zu zerbrechen versucht.

„Noch ehe sich Gott in der Offenbarung persönlich kundtat, sprach er den Menschen an durch ein Weltall, welches ein Werk der Macht, der Weisheit und der Liebe ist. So führte er den Verstand und das Herz seiner Geschöpfe zu einer Begegnung in Freude und zugleich in der Wahrheit.  Darum muss man aufmerksam hinhören auf den Ruf, der aus dem Herzen des Menschen emporsteigt, vom ersten Staunen des Kindes bis zur heiteren Abgeklärtheit des Alters; er ist wie eine Vorahnung des göttlichen Geheimnisses.“

Wenn der Mensch doch aus Freude geschaffen und zur Freude hin geschaffen ist, können wir uns wohl nur zu Recht immer wieder die Frage stellen, warum so viele Menschen in ihrer Traurigkeit gefangen zu sein scheinen. „Dieser Widerspruch, diese Schwierigkeit, die Freude zu finden, erscheint Uns in unserer heutigen Zeit besonders verschärft. Darin liegt der Grund für Unsere Botschaft. Die technische Gesellschaft konnte die Gelegenheiten zum Vergnügen vervielfachen, aber die Übel sind zu zahlreich, als daß Freude aufkommen könnte. Denn die Freude erwächst aus anderen Gründen. Sie ist etwas Geistiges. An Geld, Komfort, Hygiene und materieller Sicherheit mangelt es oft nicht; aber dennoch bleiben Überdruß, mürrische Stimmung und Traurigkeit unglücklicherweise das Los vieler. Dies steigert sich nicht selten bis zu Angst und Verzweiflung, die sich durch scheinbare Sorglosigkeit, rauschenden Genuß gegenwärtigen Glücks und durch künstliche Paradiese nicht vertreiben lassen. Spürt man etwa die Ohnmacht, den industriellen Fortschritt in den Griff zu bekommen und die Gesellschaft in menschenwürdiger Weise zu gestalten? Oder handelt es sich eher um Einsamkeit, um einen ungestillten Hunger nach Liebe und Anteilnahme, um eine undeutlich gefühlte innere Leere? Im Übrigen lasten äußeres und inneres Leid oft nur zu sehr auf den Menschen. Zu viele verhungern, werden Opfer sinnloser Kämpfe oder sind entwurzelt! All dies Elend ist vielleicht nicht schlimmer als in früheren Zeiten. Aber es nimmt weltweite Ausmaße an. Es ist besser bekannt und uns nahegebracht durch die Massenmedien, zumindest ebenso wie die Erfahrungen von Glück. Das Ausmaß an Elend ist bedrückend, wobei nur zu oft keine entsprechende menschliche Lösung dafür sichtbar wird.“ Dies schreibt der heilige Vater im Jahr 1975 und ist an Aktualität kaum zu überbieten. Aber als Katholiken sind wir nicht berufen, ein Leben der Traurigkeit zu führen, nicht ein Leben von Golgotha, sondern ein Leben der Freude and der Auferstehung unseres Herrn.

„Diese Lage der Dinge soll Uns indes nicht daran hindern, von der Freude zu sprechen, auf die Freude zu hoffen. Gerade inmitten all ihrer Not müssen die Menschen von heute die Freude entdecken und deren frohen Klang vernehmen. Wir nehmen tiefen Anteil am Schmerz all derer, über die sich angesichts des Elends und vieler Leiden der Schleier der Traurigkeit gelegt hat. Insbesondere denken Wir an alle, die mittellos, ohne Hilfe, ohne Freunde sind und ihre menschlichen Hoffnungen in nichts zerrinnen sehen. Mehr als je sind sie in Unser Gebet und Unser Mitgefühl hineingenommen. Gewiß möchten Wir niemanden traurig stimmen. Ganz im Gegenteil, Wir möchten nach Mitteln suchen, die geeignet sind, Licht in das Dunkel zu bringen. Sie scheinen Uns von dreifacher Art zu sein.“

Wir alle sind gerufen anderen eine Freude zu sein. Wir glauben schließlich an Jesus Christus und seine eine heilige katholische und apostolische Kirche. Übersetzten wir dies zurück ins Lateinische würden wir an Sonn und Feiertagen gemeinsam den Glauben an die eine heilige katholische und missionarische Kirche bekennen. Wir alle sind also gerufen zu missionieren. Und Wo wollen wir sie hinführen, wenn nicht zur Freude? Die hl. Mutter Teresa hat bekannterweise gesagt, dass die Mission mit einem Lächeln beginnt. Schauen wir uns um, sehen wir Menschen voller Traurigkeit. Menschen die sehr wenig lächeln. Menschen, die vielleicht nicht mehr lächeln können. Wie vielen Menschen sehen wir ihre Traurigkeit an? Aber wie begegnen wir ihnen? Sehen wir das Leid, wenn wir gestresst in die nächste Tram springen? Wir dürfen das Leid der Welt nicht wegignorieren. Wir müssen anerkennen: Es ist ein Leiden, sich nicht freuen zu können.

Wir müssen nicht in die weite Welt gehen, um die Menschen zu Christus zu ihrer Freude zu führen. Schauen wir in unsere eigenen Städte, in unsere eigenen Dörfer. Der hl. Philipp Neri wollte immer Rom verlassen und Missionar in Indien werden. Doch er blieb nach dem weisen Rat eines Zisterzienserpaters, der ihm sagte: Dein Indien ist Rom. Die modernen Menschen in den Wüsten der Innenstädte und der Einsamkeit würden entgegnen, dass sie Gott nicht brauchen um weiterhin glücklich zu sein. Zunächst sollten wir sie fragen, ob sie tatsächlich glücklich sind und was das überhaupt heißen soll, dieses Glück. Denn: Auch Papst Paul VI differenziert wichtiger weise zwischen Glück und Freude. Im modernen Glück klingt der hedonistische Lebensentwurf mit, der nichts anderes macht, als die echten Sinne des Menschen zu betäuben. Und natürlich hängen Glück und Freude miteinanderzusammen, aber die deutsche Sprache kommt uns hier zur Hilfe, um diesen Dualismus zu entschlüsseln. Natürlich wünscht sich der Herr auch, dass wir auf einer emotionalen Ebene glücklich sind. Seine Eminenz Joachim Kardinal Meisner ( der heilige Jochen von Köln), der durch seine tiefe Frömmigkeit und seinen spitzen Humor begeistert hat, wusste immer zu mahnen pflegen, dass wir nicht glücklich werden wollen, sondern glückselig. Das ist die wahre Freude! „Man sollte sich sehr wohl davor hüten, diese erste Pflicht der Liebe zum Nächsten außer Acht zu lassen, denn sonst wäre es töricht, überhaupt von Freude zu sprechen.“ Es ist eines der zwei Gebote der Liebe: Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus deinem ganzen Gemüte und aus allen deinen Kräften. Das ist das größte und erste Gebot! Weiter heißt es bei Matthäus: Das andere aber ist diesem gleich: Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst! Es ist nicht nur unser päpstlicher Auftrag, es ist unsere göttliche Pflicht zu lieben und zur Freude zu führen! Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden lesen wir im Römerbrief.

Natürlich heißt das nicht, dass der gläubige katholische Christ die ganze Zeit debil grinsend durch den Alltag schweifen soll, sondern wahre Freude ist natürliche Freude und drückt sich so im schönen, natürlichen Lächeln aus. Denn, das werden die Gegner der Kirche nicht glauben, aber natürlich gibt es gibt Tage da fällt es einem selbst schwer sich zu freuen.  An leidvollen Tagen zählt man doch selbst zu den Weinenden, die zu trösten sind.  Hier schreibt Paul VI:  „Gerade in seiner Seele sieht sich der Mensch außerstande, die Leiden und das vielfältige Elend unserer Zeit innerlich anzunehmen. Ja, sie drücken ihn nieder, und zwar um so mehr, je weniger er den Sinn des Lebens sieht und je unsicherer er über sich selbst sowie über seine transzendente Berufung und Bestimmung wird.“ Jemand der nicht glaubt zerbricht unter der Last seines Kreuzes, doch der Gläubige wird ungemein stärker.

„Er hat das Universum und jetzt auch die Menschheit des Bezugs zum Heiligen beraubt und nicht selten das lebendige Band zwischen sich und Gott zerschnitten. Der Wert der Dinge und die Hoffnung sind nicht mehr hinreichend gesichert. Gott scheint ihm eine abstrakte und überflüssige Idee zu sein. Ohne es aussprechen zu können, wird ihm das Schweigen Gottes zu einer Last. Ja, die Kälte und das Dunkel haben ihren Ort vor allem im Herzen des Menschen, wo müde Traurigkeit herrscht. Man kann in diesem Zusammenhang von der Trauer der Nichtglaubenden sprechen, da der menschliche Geist, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist und deshalb von Natur her auf ihn als sein einziges höchstes Gut hin ausgerichtet ist, ihn ohne Glauben nicht klar zu erkennen und nicht zu lieben vermag. Folglich kann er auch nicht die Freude erfahren, die die Erkenntnis Gottes, selbst wenn sie unvollkommen bleibt, und jene Gewißheit vermitteln, daß uns mit ihm ein Band verbindet, das nicht einmal der Tod zu zerreißen vermag. Wer erinnert sich nicht der Worte des hl. Augustinus: »Du hast uns für dich erschaffen, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir«“

Verstockte Herzen sind der Schmerz unserer Zeit. Bitten wir den Herrn inständig, dass er unsere Herzen aus Stein in ein Herz aus Fleisch verwandeln möge. Damit wir für die Menschen um uns ein Licht sein mögen und sie zur Freude, zum Christus führen können. Wer kann uns neben der heiligen Mutter Teresa, dem heiligen Philipp Neri und dem hl. Papst Paul VI, der uns diesen so herrlichen Brief geschenkt hat eine Stütze sein, diese Freude zu schenken? Der Papst gibt uns die Antwort an die Hand: Die Mutter Gottes: Ja, wir rufen sie auch an als Mutter der Schmerzen, aber welche Freude hat die Mutter des Erlösers empfangen und geschenkt! Sie ist die Magd des Herrn, die Braut des Heiligen Geistes, die Mutter des ewigen Sohnes; sie bringt ihre Freude zum Ausdruck:

„Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter... von nun an preisen mich selig alle Geschlechter«.Mehr noch als alle anderen Geschöpfe hat sie es erkannt, daß Gott Wundertaten vollbringt: sein Name ist heilig, er zeigt seine Barmherzigkeit, er erhebt die Niedrigen, er steht in Treue zu seinen Verheißungen. Ihr äußeres Leben weicht in keiner Weise von dem Verlauf eines gewöhnlichen Lebens ab, aber sie betrachtet die kleinsten Zeichen Gottes und erwägt sie in ihrem Herzen. Keineswegs bleiben ihr die Leiden erspart: sie steht unter dem Kreuz und nimmt in hervorragendem Maße als Mutter der Schmerzen Anteil am Opfer des unschuldigen Gottesknechtes. Aber sie ist auch ganz und gar offen für die Freude der Auferstehung; sie ist mit Leib und Seele aufgenommen in die Herrlichkeit des Himmels. Sie ist die zuerst Erlöste, die Unbefleckte vom Augenblick ihrer Empfängnis an; sie ist die unvergleichliche Wohnung des Heiligen Geistes; in ihr hat der Erlöser der Menschen sein Zelt aufgeschlagen; sie ist gleicherweise die vielgeliebte Tochter des allmächtigen Gottes und in Christus die Mutter aller.“

Wenn wir Christus lieben wollen, wie die Mutter Gottes, wenn wir ihn immer weiter kennenlernen wollen, wieso suchen wir unsere Freude dann in der Welt? Und nicht bei ihm? Denken wir an den Psalmisten, der in Psalm 4 betet: Du legst mir größere Freude ins Herz, als andere haben bei Korn und Wein in Fülle. Gemeinsame, wahrhaft übernatürliche Freude, ist ein Geschenk des Geistes der Einheit und der Liebe schreibt unser Heiliger. Es ist die Aufgabe, uns und unsere Geschwister gegenseitig darin zu stärken.

 In Gaudete in Domino schenkt uns Papst Paul VI. eine Handreichung, eine Hilfestellung für unser Leben in der Freude. Diese Freude im Leben, aber besonders auch am Leben bringt uns zu einem zweiten Aspekt des Pontifikats von Papst Paul VI. 1968, also zur Hochzeit der sogenannten sexuellen Revolution, veröffentlicht Paul VI die Enzyklika HumaneVitae, über die Weitergabe des Lebens. Das eben Thema der Freude schließt hier direkt an, so ist doch festzustellen, dass Humane Vitae freilich die Thematisierung der Weitergabe des Lebens zum Ziel hat, aber auch weitreichender eine Heranführung an die Ehe, ja eine Reflektion über die Ehe bietet.

„Die Eheleute sind bewusste Mitarbeiter des Schöpfergottes, er erfüllt sie immer mit großer Freude; doch ist die Freude vielfach mit nicht geringen Schwierigkeiten und Bedrängnissen verbunden. Zu allen Zeiten stellte die Erfüllung dieser Aufgabe das Gewissen der Gatten vor schwere Probleme. Die jüngste Entwicklung jedoch, die die menschliche Gesellschaft nimmt, bringt derartige Veränderungen mit sich, dass sich neue Fragen erheben.“ Die Entwicklungen, die Paul VI hier anspricht konzentrieren sich in erster Linie auf eine vor 50 Jahren zu verzeichnende rasche Bevölkerungszunahme und die damit einhergehende Sorge des weltweiten Hungerleidens, insb. für Familien in Entwicklungsländern. Hinzukommen schwierige Arbeits – und Wohnverhältnisse, gesteigerte wirtschaftliche Ansprüche und auch die Problematik einer angemessenen Erziehung und Bildung aller Kinder. Außerdem haben wir in den vergangenen Jahren erlebt und erleben es noch, dass sich die Auffassung von der Persönlichkeit der Frau und ihrer Aufgabe innerhalb der Gesellschaft stetig wandelt. Im Hinblick eines anhaltenden selbsternannten Fortschritts und wachsender Selbstbestimmung des einzelnen Menschen dehnt sich diese Selbstbestimmung auf jeden Aspekt menschlichen Lebens aus. Der Mensch möchte über seinen Körper, seine Seele etc. selbst bestimmen, aber eben auch über die Weitergabe menschlichen Lebens. Alles soll der selbstbestimmten menschlichen Herrschaft unterworfen sein. Dies ist der bereitete Boden auf den nun diese Enzyklika von Papst Paul VI trifft.

„Die Frage der Weitergabe menschlichen Lebens darf - wie jede andere Frage, die das menschliche Leben angeht - nicht nur unter biologischen, psychologischen, demographischen, soziologischen Gesichtspunkten gesehen werden; man muß vielmehr den ganzen Menschen im Auge behalten, die gesamte Aufgabe, zu der er berufen ist; nicht nur seine natürliche und irdische Existenz, sondern auch seine übernatürliche und ewige.“

Den Forderungen nach künstlicher Geburtenregelung ausgesetzt, die sich im Kontext der befreienden Revolution der 68er noch auf eheliche Liebe und eine verantwortliche Elternschaft beruft, ist es zwingend zu klären, was wir nun unter der Ehe verstehen und was sie ausmacht.

„Weit davon entfernt, das bloße Produkt des Zufalls oder Ergebnis des blinden Ablaufs von Naturkräften zu sein, ist die Ehe in Wirklichkeit vom Schöpfergott in weiser Voraussicht so eingerichtet, daß sie in den Menschen seinen Liebesplan verwirklicht. Darum streben Mann und Frau durch ihre gegenseitige Hingabe, die ihnen in der Ehe eigen und ausschließlich ist, nach jener personalen Gemeinschaft, in der sie sich gegenseitig vollenden, um mit Gott zusammenzuwirken bei der Weckung und Erziehung neuen menschlichen Lebens. Darüber hinaus hat für die Getauften die Ehe die hohe Würde eines sakramentalen Gnadenzeichens, und bringt darin die Verbundenheit Christi mit seiner Kirche zum Ausdruck.“(HV8)

Papst Paul VI führt weiter aus, wie sich die Ehe in ihren vier wesentlichen Merkmalen ausdrückt. Sie ist „vollmenschliche Liebe“, das heißt, in ihr sind eine sinnliche und eine geistige Dimension untrennbar miteinander verbunden. „Sie entspringt darum nicht nur Trieb und Leidenschaft, sondern auch und vor allem einem Entscheid des freien Willens, der darauf hindrängt, in Freud und Leid des Alltags durchzuhalten, ja dadurch stärker zu werden: so werden dann die Gatten ein Herz und eine Seele und kommen gemeinsam zu ihrer menschlichen Vollendung.“ Sie beruht auf der „Ganzhingabe“. Die Ehegatten schenken sich einander ganz und lieben ihren Partner um seiner selbst willen, nicht für das, was sie von ihm bekommen. „Jene besondere Form personaler Freundschaft, in der die Gatten alles großherzig miteinander teilen, weder unberechtigte Vorbehalte machen noch ihren eigenen Vorteil suchen.“ Freundschaft bildet dabei das entscheidende Fundament. Der heilige Thomas von Aquin definiert Freundschaft durch den Wunsch dem jeweils anderen ein besserer Mann, eine bessere Frau sein zu wollen. Darin besteht auch diese Ganzhingabe, in der Freundschaft, in der Ehe. Sie ist „treu und ausschließlich“ bis ans Lebensende. „Treue entspricht nicht nur dem Wesen der Ehe, sie ist darüber hinaus eine Quelle innigen, dauernden Glücks.“ Das Schöne an der Ehe besteht doch darin, dass wir sehen was, bzw. konkreter wer unsere Berufung ist! Eheliche Liebe ist eine ganzheitliche Liebe, die sich aber nicht nur in der Liebe zueinander erschöpft. Sie ist „fruchtbar“. Ihrem Wesen nach ist die eheliche Liebe auf die Weitergabe und den Erhalt menschlichen Lebens ausgerichtet. „Kinder sind gewiß die vorzüglichste Gabe für die Ehe und tragen zum Wohl der Eltern selbst sehr bei.“ Entscheidend ist in der Enzyklika sicherlich der Ausdruck der verantworteten Elternschaft:

„So vermag der Mensch in seinen Fortpflanzungskräften die biologischen Gesetze zu entdecken, die zur menschlichen Person gehören. Was dann psychologisch Trieb und Leidenschaft betrifft, so meint verantwortungsbewußte Elternschaft ihre erforderliche Beherrschung durch Vernunft und Willen. Im Hinblick schließlich auf die gesundheitliche, wirtschaftliche, seelische und soziale Situation bedeutet verantwortungsbewußte Elternschaft, daß man entweder, nach klug abwägender Überlegung, sich hochherzig zu einem größeren Kinderreichtum entschließt, oder bei ernsten Gründen und unter Beobachtung des Sittengesetzes zur Entscheidung kommt, zeitweise oder dauernd auf weitere Kinder zu verzichten. Endlich und vor allem hat verantwortungsbewußte Elternschaft einen inneren Bezug zur sogenannten objektiven sittlichen Ordnung, die auf Gott zurückzuführen ist, und deren Deuterin das rechte Gewissen ist.“

Hier dürfen sich die Eheleute aber keineswegs ihrer eigenen Willkür hingeben, sondern „sie sind vielmehr verpflichtet, ihr Verhalten auf den göttlichen Schöpfungsplan auszurichten, der einerseits im Wesen der Ehe selbst und im ehelichen Akt zum Ausdruck kommt.“ Die Kirche lehrt uns also, dass die eheliche Liebe per se auf die Weitergabe des Lebens hin ausgerichtet und bestimmt ist. Diese Schönheit der ehelichen Liebe besteht zunächst auf der Weisheit Gottes und der von ihm geschaffenen natürlichen Gesetze, aber vor allem – und das besagt die Lehre der Kirche sehr deutlich – in der Untrennbarkeit von liebender Vereinigung und Fortpflanzung.

„Diese vom kirchlichen Lehramt oft dargelegte Lehre gründet in einer von Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte - liebende Vereinigung und Fortpflanzung -, die beide dem ehelichen Akt innewohnen. Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen. Seiner innersten Struktur nach befähigt der eheliche Akt, indem er den Gatten und die Gattin aufs engste miteinander vereint, zugleich zur Zeugung neuen Lebens, entsprechend den Gesetzen, die in die Natur des Mannes und der Frau eingeschrieben sind. Wer das Geschenk ehelicher Liebe genießt und sich dabei an die Zeugungsgesetze hält, der verhält sich nicht, als wäre er Herr über die Quellen des Lebens, sondern er stellt sich vielmehr in den Dienst des auf den Schöpfer zurückgehenden Planes. Wie nämlich der Mensch ganz allgemein keine unbeschränkte Verfügungsmacht über seinen Körper hat, so im besonderen auch nicht über die Zeugungskräfte als solche, sind doch diese ihrer innersten Natur nach auf die Weckung menschlichen Lebens angelegt, dessen Ursprung Gott ist. "Das menschliche Leben muß allen etwas Heiliges sein", mahnt Unser Vorgänger Johannes XXIII., "denn es verlangt von seinem ersten Aufkeimen an das schöpferische Eingreifen Gottes .“

In unserer Zeit können wir die Auswirkungen dieser sexuellen Revolution und die von Paul VI. aufgezeigten und als abzulehnend verurteilten Gefahren erkennen. Ganz im Sinne einer  schon angesprochenen allein auf das zeitliche Glück angelegten hedonistischen Lebensführung lassen sich die Menschen sterilisieren, lehnen die eigene Fortpflanzung soweit ab, dass sie ihre eigenen Kinder töten, aber gleichzeitig von der Lüge der reproduktiven Rechten sprechen. Hier ist Paul VI. auch als starker Wegbereiter für den heiligen Johannes Paul II und seine Schriften Familiaris Consortio oder Evangelium Vitae zu betrachten. Die Angriffe auf das menschliche Leben sind der eigenen Willkür ausgesetzt. Im Kontext der Willkür ist weiter festzustellen, dass der willentlich unfruchtbar gemachte Akt eine schwere unsittliche Hanldung darstellt. „Jede Handlung ist verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluß an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel.“

Im Hinblick auf die natürliche Familienplanung müssen wir immer vom Gewissen ausgehen und dürfen nicht in Willkür handeln. So haben die österreichischen Bischöfe in einer eigentlich recht schwammigen Reaktion auf diese Enzyklika aber auch Recht wenn sie schreiben, dass es falsch und scheu ist, aus Bequemlichkeit und Opferscheu das eigene Kind zu meiden. Die Enzyklika und die Ablehnung der künstlichen Empfängnisverhütung haben insbesondere – mal wieder im deutschsprachigen Raum – zu großem Unverständnis geführt, sodass sich die Bischöfe in Deutschland und Österreich in einer Rechtfertigungssituation wiedergefunden haben, in der die kirchliche Position nicht entschieden verteidigt wurde. Schließlich ist aber auch darauf einzugehen, wie Paul VI.  auch jenen liebenswert die Hand reicht, die seine Ausführungen nur zaghaft annehmen wollen:

„Verständige Menschen können sich noch besser von der Wahrheit der kirchlichen Lehre überzeugen, wenn sie ihr Augenmerk auf die Folgen der Methoden der künstlichen Geburtenregelung richten. Man sollte vor allem bedenken, wie bei solcher Handlungsweise sich ein breiter und leichter Weg einerseits zur ehelichen Untreue, anderseits zur allgemeinen Aufweichung der sittlichen Zucht auftun könnte. Man braucht nicht viel Erfahrung, um zu wissen, wie schwach der Mensch ist, und um zu begreifen, daß der Mensch - besonders der Jugendliche, der gegenüber seiner Triebwelt so verwundbar ist - anspornender Hilfe bedarf, um das Sittengesetz zu beobachten, und daß es unverantwortlich wäre, wenn man ihm die Verletzung des Gesetzes selbst erleichterte. Auch muß man wohl befürchten: Männer, die sich an empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren, und, ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet.“

In unseren Tagen schaffen es Regenbogenaktivisten den Begriff der Liebe zu kapern und mit einem kurzweiligen Gefühl des crush oder der Verliebtheit zu besetzen. Liebe könne schließlich keine Sünde sein. Es ist ein semantischer Angriff, der jeglicher Logik entbehrt und nur einen billigen Versuch darstellt, die eigene Lebensführung zu rechtfertigen.  Aber auch in anderen Kontexten der hedonistischen Lebensführung ist die künstliche Empfängnisverhütung fester Bestandteil einer sogenannten Liebe und in jeglicher Hinsicht positiv besetzt. Was sagt also diese künstliche Empfängnisverhütung in einer heterosexuellen Beziehung?

Über die sodomitischen Wege des sogenannten safer sex, der nur die Fleischlichkeit und Triebhaftigkeit des Menschen ohne Vernunft in den Blick nehmen, wollen wir schweigen. Was aber sagt denn künstliche Empfängnisverhütung in einer sonst gesunden Beziehung aus? Die ganzheitliche Liebe wird verstümmelt. Aus dem sich ganz dem anderen Hinschenken, wird ein sich eben nicht ganz Hinschenken. Ich liebe Dich, ich nehme Dich in allem an, außer in deiner Fruchtbarkeit! Ist das der Weg den wir gehen wollen? Ist das der Weg zum Heil? Johannes Paul II greift den Begriff der Willkür von unserem Heiligen in Familiaris Consortio auf und spricht davon, dass die künstliche  Verhütung den Plan Gottes manipuliert.

„Will man nicht den Dienst an der Weitergabe des Lebens menschlicher Willkür überlassen, dann muß man für die Verfügungsmacht des Menschen über den eigenen Körper und seine natürlichen Funktionen unüberschreitbare Grenzen anerkennen, die von niemand, sei es Privatperson oder öffentliche Autorität, verletzt werden dürfen. Diese Grenzen bestimmen sich einzig aus der Ehrfurcht, die dem menschlichen Leibe in seiner Ganzheit und seinen natürlichen Funktionen geschuldet wird: und zwar entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen und dem recht verstandenen sogenannten Ganzheitsprinzip.“

Freilich soll nun nicht der Eindruck entstehen, als hätten es die modernen und gottfernen Menschen in allem besser oder gar schlechter und als Gläubige blieben wir vor allen Schwierigkeiten verschont. Zweifelsohne nicht, aber wissen wir doch die Freude am Herrn ist unsere Stärke. Haben wir Mut nicht der Willkür zu verfallen, sondern uns in die Wüsten unserer Zeit zu begeben und selbst zu einer Oase zu werden, in der die Menschen die Frucht der Liebe, die Frucht der Freude Gottes erfahren dürfen.

Hl. Papst Paul VI.

Bitte für uns!

 
 
 

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